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24. Rauerkopf - Stuttgarter Hütte


Der Arlberg bildet die Grenze der Lechtaler Alpen zur Verwallgruppe und stellt neben dem Übergang zwischen Tirol und Vorarlberg auch die Wasserscheide dar. Der Pass war bereits zur Römerzeit bekannt, wurde jedoch auf Grund der Wetterunbilden lange Zeit über den gefahrlosen Weg durch das Verwalltal und über das Silbertaler Winterjöchl umgangen. Durch den Salztransport von Hall nach Feldkirch gewann der Übergang im Mittelalter immer mehr an Bedeutung. 1386 wurde auf der Passhöhe das Hospitz errichtet, das Reisenden bei Schneestürmen besonderen Schutz gewähren sollte. Um in die Tannberger Region zu kommen, welche mit der Eröffnung der Arlbergbahn 1884 ein Tor zur Welt erhalten hatte, wurde Ende des 18. Jahrhunderts der alte Flexenweg mit seinen spitzen und steilen Kehren verwegen in die Höhe getrieben. Erst 1897, mit der Fertigstellung der neuen Galerie-Straße gelangte man gefahrloser, zumindestens im Sommer in diese Hochgebirgsregion. Mit diesem Weg ist auch das abenteuerliche Lawinenunglück mit dem Fuhrmann Franz Josef Mathies aus Warth, „Lawinen-Franz-Josef“ genannt, verbunden.

„Gurasche bacht Chüechle.“ Bei diesem alten Walserspruch lachte Franz Josef gezwungen und trieb sein Pferd an, während Juno, sein fahlgelber Hund lustig vorauslief. Das Schneegestöber nahm von Minute zu Minute an Stärke zu und der Fuhrmann wurde immer ernster. Es begegneten ihm einige Fuhrleute aus Lech und er kam wohlbehalten zur Schupfe auf dem Flexen. In der Zwischenzeit war ein halber Fuß Schnee gefallen und es kam leichter Wind auf. Entschlossen trat Franz den Rückweg an und sah, wie unterdessen im Kurzkehrtobel, der gefährlichsten Stelle auf der alten Flexenstraße, eine kleine Lawine abgegangen war. „Was herunten ist, kann mir nicht mehr schaden“, dachte sich der Fuhrmann, stellte Ross und Wagen an eine sichere Stelle und begann den Weg freizuschaufeln. Jedoch oben am Felsen lauerte der Tod. Ein dumpfer Knall und schon donnerte eine Lawine bergab. War Mathies mit den Schneemassen nur teilweise verschüttet worden, riss die zweite Lawine ihn unbarmherzig in die Tiefe. Ein wuchtiger Windstoß nahm ihm den Atem und im nächsten Augenblick wälzten sich sechs Meter Schneemassen auf sein Grab.

Irgendwann, er hatte schon mit dem Leben abgeschlossen, hörte Franz Josef ein Geräusch von Schaufeln und dumpfe Stimmen. Es war keine Täuschung. Ein Gendarm hatte am Dienstag den 21. Dezember 1886, eine halbe Stunde nach dem Lawinenabgang das herrenlose Fuhrwerk gefunden und das Unglück geahnt. Durch Eilboten wurden aus den umliegenden Ortschaften die Leute zu Hilfe gerufen und 24 wackere Männer waren zur Rettung des Verschütteten herbeigeeilt. Langsam vergingen die Stunden und mit ihnen schwand auch die Hoffnung auf Rettung. Mit langen Stangen durchstach man überall den Lawinenkegel, während die restlichen Männer waagrechte Gänge in den Schnee gruben. Franz Josef war müde, todmüde - er fühlte sein Ende nahen. Auf einmal spürte er auf der rechten Schulter einen starken Schlag, der seine Sinne wieder wachrief. Beim nächsten Stoß packte er die Stange mit der freien Hand und stieß diese zweimal empor. Mit lautem Jubel begrüßte die Retterschar das Lebenszeichen. Juno, sein treuer Hund blieb von Dienstag mittags bis Mittwoch abends um fünf Uhr auf dem Lawinenkegel, worin sein Herr 30 Stunden gefangen lag. Feuchten Auges dankte Franz Josef den Rettern, schaute zum Himmel und zu den geliebten Bergen der Heimat. Manchem harten Manne, der da glaubte, er habe das Weinen schon lange verlernt – rannen schwere Tränen über das wettergezeichnete Gesicht.

Um an die Grenze der Lechtaler Alpen zu gelangen, benützen wir als Aufstiegshilfe die Rüfikopf-Bergbahn in Lech. Bei der Gipfelstation (2.350 m) führt uns ein Wanderweg durch saftige Almwiesen durch das „Ochsengümple-Kar“ und in weiterer Folge auf die Rauhekopf Scharte, der Grenze zu Tirol. In nördlicher Richtung, zum Greifen nah, locken die Wösterspitzen (2.558 m) zur Besteigung. Beim nächsten Mal vielleicht, denn heute geht es in südlicher Richtung der Grenze entlang. Der Rauerkopf (2.520 m), unser erster Gipfel in nicht ganz zuverlässigem Gestein, eröffnet uns ein prächtiges Panorama über den weiteren Grenzverlauf bis zur Stuttgarter Hütte. Die Gümplespitze (2.518 m), ein wenig markanter Gipfel westlich der Rauerkopfscharte ist unser nächstes Ziel. Entlang des Gratrücken, über beide Wangscharten gelangten man mühelos zum schrofigen Kamm, bei dem man nach Überschreitung auf dem Trittwangkopf (2.482 m) steht. Vor uns bunte Bergwiesen, die von einer reichen Vegetation bedeckt werden - ein Eldorado für Botaniker. Genau diese Böden könnten eine entscheidende Ursache sein für die frühe Besiedlung der Region. Von Romanen und Walser betriebene Alpen sind schon seit dem Mittelalter beurkundet, sie werden bis heute bewirtschaftet. Auf der Stuttgarter Hütte, welche 1910 an der Grenze zu Vorarlberg ursprünglich als Stützpunkt für Skitourengeher gebaut wurde, erfreuen wir uns zum Abschluss unserer Grenztour an einem kühlen Gerstensaft. Das angebotene Vorarlberger Weizenbier wird verweigert!

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