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19. St. Antönier Joch – Tilisunahütte


Kommt man nach Gargellen, könnte man meinen in eine Welt der Schmuggler eingetreten zu sein. Geschichten rund um das Schmuggeln fanden Eingang in den Tourismusalltag und halten als Namen von Restaurants („Schmugglerstübli“), Themenwegen („Schmugglerpfade“) und Erzählungen („Schmugglergeschichten“) das Image von Rebellentum im Montafon aufrecht. Entsprechend unserer Mission ziehen wir einer touristisch organisierten Schmugglertour rund um die Madrisa mit Schmugglerjause im Tuch, Taschenmesser und Flachmann mit „Schmugglerwasser“ unsere Tour entlang des Grenzverlaufes vor.


Heutzutage ist der Übergang vom Montafon ins Prättigau ohne Kontrollen begehbar. Entlang der schweizerisch-österreichischen Grenze zeigt sich ein großartiges Gebirgsszenario. Mit der Schafberg-bahn erreichen wir kraftschonend die Bergstation, wo uns zur Stärkung ein „Kleines“ erwartet. Kurze Zeit später sind wir auf dem Weg zum St. Antönier Joch. Dieses ist einer der zahlreichen Übergänge zwischen den beiden Talschaften, welcher in früheren Jahren für einen regen Warenaustausch genutzt wurde. Vom St. Antönier Joch steigen wir dem Grat folgend zum Riedkopfsattel und in weiterer Folge entlang des Südgrates über teilweise ausgesetzte Stellen zum Riedkopf (2.662 m). Die weiteren Gipfel im Kammverlauf zum Sarotlapass werden kaum bestiegen. Über Ronggspitze (2.531 m) und Breite Furka erreichen wir den Gipfel der Rotspitze (2.517 m), von welchem sich ein wunderbarer Blick zu den wichtigsten und namhaftesten Bergen des Rätikon öffnet.

Der Vieregger (2.481 m), ein schroffer Felsberg im Norden der Rotspitze, ist deutlich schwieriger zu besteigen als die vorherigen Erhebungen im Grenzverlauf. Von den Röbispitzen (2.466 m) steigen wir zum Sarotlapass ab und erreichen leicht ansteigend auf Schweizer Seite den Plasseggenpass, wo uns ein alter Grenzstein erwartet. Etwas südlich des Passes gelangen wir über ein steiles Kar auf den Südrücken der Scheienfluh und deren Gipfel (2.627 m). Beim Anblick von Partnun besticht die Scheienfluh durch ihre überhängende Westwand, die zur Zeit der Erstbesteigung nur in aufwändiger technischer Kletterei bezwungen werden konnte. Im Winter allerdings ist dieser Berg auf seiner Ostseite ein beliebtes Ziel für Skitourengeher.

Am Grubenpass geht es über Steinplatten kurz aufwärts, bevor sich der schmale Pfad durch einen markanten Einschnitt schlängelt. Vorbei an einem alten verlassenen Zollhäuschen aus grau verwittertem Holz, welches elegant auf einer Felsrippe steht. Das gesamte Gebiet mit den Übergängen Viereggerpass, Sarotlapass, Plasseggerpass und Grubenpass bis hin zur Tilisunahütte war ein ausgesprochen beliebtes Gebiet für Schmuggler. Speziell in der Zwischenkriegszeit und während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurden in diesem Grenzbereich Waren von der Schweiz nach Österreich geschmuggelt.

Kurz vor und noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs konnten tausende Juden von Wien kommend über Vorarlberg in die Schweiz fliehen. Zuerst legal, dann illegal. Im Rätikon führten mehrere Fluchtwege in die Schweiz und nach Liechtenstein, bis die Grenze geschlossen wurde. Der Weg über das Gebirge war überaus beschwerlich und auf beiden Seiten gut überwacht. Da die meisten von ihnen bergunerfahren und nicht geländekundig waren, entstand ein informeller Wirtschaftszweig des „Judenschmuggels“. Dass die Flüchtlinge von ihren ortskundigen Helfern nicht nur abhängig, sondern diesen regelrecht ausgeliefert waren, führte auch mehrfach dazu, dass sie zuerst sämtlicher Wertsachen entledigt und danach bei den Grenzwachen angezeigt wurden. Der Suizid zweier jüdischen Frauen, die im Gemeindekotter in St. Gallenkirch erhängt aufgefunden wurden, zeugt von so einem Vorfall. Als Beerensammlerinnen getarnt, versuchten sie 1941 in die Schweiz zu gelangen, wo sie kurz vor dem Sarotlapass aufgegriffen und verhaftet wurden. Zeitzeugen glauben sich zu erinnern, dass auch sie einem Schlepper ins Netz gegangen sind, der sie schließlich an den Grenzschutz verriet. Der genaue Hergang dieses tragischen Geschehens ist heute nicht mehr feststellbar. Auf dem Jüdischen Friedhof in Hohenems sollen die beiden Frauen angeblich begraben sein. In derselben Arrestzelle wurden 1938 der Schriftsteller Jura Soyfer und Hugo Ebner festgehalten. Auch sie hatten kein Glück, als sie mit Skiern über Gargellen nach Graubünden fliehen wollten. 1939 kam Soyfer im KZ Buchenwald ums Leben.






 

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