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18. Zurück nach Warth

Von der Mindelheimer Hütte führt uns zunächst ein Steig unterhalb des Angererkopfs und in weiterer Folge über einen Grashang auf ein unbenanntes Joch, welches Angererkopf und Liechelkopf trennt. Ein Rudel Steinböcke, welches in unmittelbarer Nähe äst, lässt sich durch unsere Besteigung der steilen Grasflanke zum Liechelkopf (2.384 m) nicht aus der Ruhe bringen. Von unserem ursprünglichen Vor-haben, vom Joch aus den Angererkopf (2.266 m) zu besteigen, müssen wir Abstand nehmen, da angesichts der auf dessen nordwestlicher Bergseite steil abfallenden Schrofen und Geröllhalden eine Besteigung kaum durchführbar erscheint.

Beim Abstieg über den Grashang zurück zum Steig beobachten wir ein großes Rudel Gämsen, die uns vorsichtig und in weiterer Folge neugierig, da sie von uns wohl keine Gefahr zu erwarten scheinen, beobachten. So schwindet ihr Interesse an unserer Anwesenheit und sie zeigen uns teilnahmslos die „kalten Schultern“. Über die Scharte beim Wildengrundkopf erreichen wir das Geißhorn (2.366 m), dessen Gipfel über den Südgrad zu besteigen sich lohnt. Ein letzter Blick über die in den vergangenen Tagen lieb-gewonnenen Kleinwalsertaler Grenzberge und weiter geht es auf Vorarlberger Seite in Richtung Warth.

Im Spätherbst des Jahres 1909 ereignete sich am Schrofenpass eine dramatische Tragöde. Zwei Wilde-rer versuchten im Schutz der Dunkelheit unerkannt über einen Pfad vom Rappenalptal zum Schrofen-pass und in weiterer Folge nach Warth zu gelangen. „Halt, stehen bleiben!“, ertönte lautstark eine Stimme aus der Dunkelheit. Als sie nicht reagierten, wurden sie ein zweites Mal angerufen und aufgefordert stehen zu bleiben. Als daraufhin einer der beiden Wilderer eine rasche Bewegung machte, zerriss ein Schuss die abendliche Stille. Der bayerische Hofjäger von Prinzregent Luitpold, Seraphin Berktold, hatte in der Dunkelheit das Feuer eröffnete und sah nun im Lichtschein seiner Blechlaterne einen Sterbenden. Seine Kugel saß mitten im Leben. Der zweite Wilderer wurde gefasst und durchsucht, dann gebunden, nach Oberstdorf geführt und den Gendarmen übergeben.

Im Rahmen der Verhöre und weiteren Ermittlungen ergab sich folgender Sachverhalt. Der aus Warth stammende und wildernde Jungbauer Peter Strolz hatte erstmals seinen in Au im Bregenzerwald beheimateten zwanzigjährigen Jungknecht Hermann Moosbrugger zum Wildern mitgenommen. Moosbrugger trug zwar zum Zeitpunkt der Schussabgabe keine Waffe, doch hatte er die schwere Last zu tragen und ging als Schließender. Eine hastige Bewegung mit seinem Bergstock, möglicherweise aus Angst oder Schrecken kostete ihn das Leben. Sein Bauer und wohl auch Anstifter Strolz wurde wegen Wilderei verurteilt und hatte eine mehrmonatige Strafe im Gefängnis Kempten abzusitzen. Bis zum heutigen Tag erinnert ein einsamer Bildstock am Schrofenpass an dieses Ereignis und den Tod eines jungen Menschen.

„Von einem bayr. Revier Jäger durch einen Schuss

verblutet an dieser Stelle am 31. 10. 1909

Hermann Moosbrugger, geb. 7. 1. 1890 in Au

Herr sei ihm gnädig.“

Die fünf Kilometer lange Grenze auf Hochkrumbacher Seite verläuft ab dem Koblatpass (GST 158) in einem wahren Zickzack zum Haldenwangerkopf (GST 153) und in weiterer Folge zum Gehrner Boden (GST 147), wo Allgäu, Tirol und Vorarlberg ein Dreiländereck bilden. Der steil abfallenden, über Schrofen und Latschenbewuchs verlaufenden Grenze nach Warth ziehen wir den auf Tiroler Seite nach Gehren sich abwärts schlängelnden Steig vor. Bei der erstbesten Lokalität allerdings gibt es kein Weiter-kommen und noch ehe wir uns zum Bus von Warth durch den Bregenzerwald ins Rheintal begeben, lassen wir ein „Franziskaner“ aufmarschieren.

Im Tagebuch des Kreishauptmanns Johann von Ebner ist folgendes vermerkt: „3. Mai 1841, der Pfarrer Stebele von Warth ist ein roher, dem Trunke ergebener, bereits 63-jähriger Mann, der um so weniger dahin paßt, als ein Pfarrer in einer solchen Gegend der einzig gebildete Mann sein soll, den es gibt, der daher von den Gebirgsbewohnern in allen möglichen Angelegenheiten konsultiert wird, und auf deßen Benehmen Aller Augen gerichtet sind. Er hat erst unlängst einen solchen Rausch gehabt, daß er eine Taufhandlung nicht gehörig verrichten konnte. Es wäre Zeit, diesen Mann beßer zu ersetzen, was auch die Gemeinde wünscht und verlangt. Das Zimmer im oberen Stock hat einen elenden Boden. Die Kirche ist so übel nicht für diese Gebirgsgegend.“

50 Jahre später sorgte ein weiterer Pfarrer von Warth für erneute Aufmerksamkeit. In der Zeitschrift „Der Deutsche Hausschatz“ stieß Pfarrer Johann Müller im Nachwinter 1894/95 auf ein Bild, das zeigte, wie man sich im hohen Norden in Schweden und Norwegen, im Winter mit Schi bei hohem Schnee fortbewegen könne. Mittels Postanweisung der nötigen Gulden, verbunden mit der Bitte um Zusendung solcher Bretter, kam vierzehn Tage später die gewünschte Lieferung. In dieser Zeit dürfte wohl kaum eine Person in der Umgebung von Tannberg (Arlberggebiet) und nur wenige im gesamten Land von Schi etwas gehört, geschweige denn solche gesehen haben. Um sich die Kunst des Schi-fahrens selbst beizubringen, wartete Pfarrer Müller den Abend ab, denn er wollte weder gesehen und schon gar nicht ausgelacht werden. Bei hereinbrechender Dunkelheit schnallte Hochwürden die „Schwedischen“ an seine Schuhe, nahm den langen Stock und versuchte im Neuschnee des Pfarrwi-dums sein Glück. Einige Zeit und Fehlversuche später wagte er eines frühen Morgens, noch ehe die Dorfbewohner das erste Lichtlein anzündeten, eine Schifahrt nach Lech. Auf der Rückfahrt nach Warth im Morgengrauen des nächsten Tages wurde er von den Milchbauern mit großer Spannung erwartet. Dass Schier für den Tannberg ein im Winter praktisches Fortbewegungsmittel sind, hatten die „Schulerbuben“ rasch herausgefunden, sich unverzüglich mit „Fassdauben“ Bretteln gebaut und damit gefahren. Auch Hannes Schneider erzählte, dass er auf diese Art seine ersten Schiversuche unternommen hat.


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