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16. Gottesackerplateau – Hoher Ifen


In unmittelbarer Nähe der Vorderhochrubachalpe starten wir unser heutiges Vorhaben, das Kleinwalser-tal entlang der Grenze Vorarlberg-Bayern zu umrunden. Dennoch bedarf es noch eineinhalb Stunden Marsch, bis wir im Löwental die Grenze erreichen. Der Grenzverlauf führt uns zunächst bergwärts über das neun Quadratkilometer große Gottesackerplateau. Eine im Norden dem Hohen Ifen vorgelagerte, vegetationsarme Karstfläche, die angesichts ihrer Furchen im Fels den Namen Gottesacker trägt. Schratten nennt man hier die spezielle Verwitterungsform des Gesteines, die in anderen Regionen als Karren bezeichnet wird. Abzuraten ist von einer Überquerung des Gottesackers bei Nebel oder Schneetreiben.

Ein guter Überblick über die aktuelle Baustelle am Fuß des Gipfelaufbaues des Hohen Ifen auf Klein-walsertaler Seite ergibt sich vom Gipfel des Hahnenköpfles (2.086 m). Seilbahn sowie Tal- und Berg-station werden neu errichtet und Hubschrauber werden zum Transport der Seilbahnstützen eingesetzt. Im Westen der Allgäuer Alpen bildet der Hohe Ifen (2.230 m) als Felspult über dem Gottesacker die Grenze zum Bregenzerwald. Seine grüne, vom Gipfel sanft nach Süden sich neigende Hochfläche fällt auf alle vier Seiten mit zwar niedrigen, aber meist senkrechten und daher Ifenmauer genannten Wänden ab. Besonders eindrucksvoll ist vom Gipfel der Blick über die weite Fläche des Gottesackerplateus und daher ist es nicht überraschend, dass zahlreiche Wanderer den Gipfel besuchen.

Von der Ifenmulde führt ein Pfad in unmittelbarer Grenznähe, vorbei am hohen Döllen zur verfallenen Gottesackeralpe. Zwar sind von der Alphütte lediglich Überreste der Grundmauern zu erkennen, trotz-dem wird die Wiese von Wanderern gerne zum Rasten genutzt. Bei der Gottesackerscharte (GST 195) wäre es möglich, auf die Allgäuer Seite ins Mahdtal zu gelangen. Der weitere Grenzverlauf wendet sich nun in südöstliche Richtung und führt über Felsabbrüche und Latschenfelder zu den Grenzsteinen 194 und 193. Da dieser Streckenabschnitt kaum begehbar ist, kehren wir zur Gottesackeralpe zurück und folgen dem Weg über das Gottesackerloch zur Alpe Schneiderküren.

Über die Entstehung der geologischen Formationen auf dem Gottesacker gibt es nicht nur wissenschaft-lich gesicherte, sondern darüber hinaus Erklärungen, welche den Legenden zuzuordnen sind. So soll das heute äußerst karge Plateau ein der Gnade und Gunst Gottes besonders am Herzen liegender Fleck Erde gewesen sein. Mit fruchtbaren Feldern, großen Gärten mit Obst und Gemüse sowie Hundertern von Geißen, Schafen und Rindern. Eben ein Acker Gottes.

Doch Hochmut und Gier des im Wohlstand auf dem Gottesacker lebenden Bauern ließ diesen Knechte, Mägde und Tiere hart und herzlos behandeln. Eines Abends bei Sonnenuntergang hob sich vom Hori-zont groß die Gestalt eines alten Mannes ab. Als dieser jedoch im Dunkeln den Hof des Bauern erreicht hatte, zeigte sich ein dürftig gekleideter, alter Bettler, demütig und bescheiden mit Greisenhand um eine warme Suppe oder ein Stück Brot sowie Nachtlager bittend. Herzlos wies der Bauer den Bettler ab: „Suhund, wo bischt gse, wo mä s'Haih ische do hed? Zonn schaffa chonnt'r uet, zom fraessa olleg!“, und warf diesem hohnlachend einen Stein vor die Füße. „Da, Bettler, friss!“ Als der Bettler erschrocken sei-nen Stock hebt und sich abwendet, zögert der Bauer nicht, die Hunde auf ihn zu hetzen und ruft diese erst zurück, als der Bettler vor Schmerzen schreiend auf dem Boden liegt. Aus einer Wunde blutend, richtet sich der Alte auf. Aus der Dämmerung war Dunkelheit geworden, drückend und schwer die Luft und schaurig klingt der Fluch über den Hof:

„Verflucht sei der Hof, der die Hungrigen höhnt!

Verflucht sei der Bauer, vor dem jeder stöhnt!

Verflucht sei der Acker! Er werde zu Stein.

Sein Name soll Sinnbild des Todes sein.“

Unerklärliches und Furchtbares geschieht. Im Schein eines grellen Blitzes zeigt sich der Alte mächtig und groß wie vor Stunden am Horizont. Angsterfüllt sinkt das Gesinde auf die Knie, betet und bekreu-zigt sich und verlässt in panischem Schrecken den Hof talwärts dem Wald und der Breitach zu. Der Bauer hingegen wendet sich fluchend dem Haus zu und als er die Stube mit Frau und Kind erreicht, flammt ein zweiter Blitz auf. Erschlagen sind Bauer, Bäuerin und Kind. Lichterloh brennt der Hof. Als anderntags Bauern des Tales zum bis auf die Grundmauern abgebrannten Gottesackerhof aufsteigen, fanden sie dort nur eine trostlose Fläche. Nichts Lebendes war anzutreffen, der Acker war zu Stein erstarrt, die gepflügten Furchen waren Furchen im Fels und die Stoppelfelder zeigten sich als stein-übersähte Flächen. Der Acker Gottes war zu einem felsigen und stillen Gottesacker geworden.

Im Bereich der Schneiderkürenalpe wurden im Jahr 1998 am Fuße eines überhängenden Felsens die ältesten menschlichen Spuren im Kleinwalsertal gefunden. Es dürfte sich dabei um ein Jäger- und Hirtenlager der Vorzeit handeln, bei welchem vor rund 9.000 Jahren in der Mittelsteinzeit Jäger das natürliche Felsdach als Sommerquartier nutzten. Gejagt wurden in erster Linie Hirsche, die auf dem Gottesackerplateau ihr Futter suchten. Es konnten zahlreiche Zeugnisse dieser Jäger gefunden werden wie Pfeilspitzen, Bohrer, Kratzer und messerartige Werkzeuge. Auch Knochen und Zähne von Hir-schen, Gämsen und Steinböcken haben sich erhalten. Funde aus der Bronzezeit bis in die Zeit der Römer belegen die Nutzung dieses Ortes durch Wanderhirten mit Ziegen und Schafen.

Entlang des Außerkürenwaldes gelangen wir nach zwei Kilometern in die Parzelle Wäldele. Nun nicht mehr dem Grenzverlauf folgend nutzen wir den Ortsbus nach Riezlern. Angesichts alter Kameradschaft zum Chef und Zwei-Haubenkoch Martin dürfen wir im Superior Alpenhof Jäger unser Nachtquartier beziehen und werden darüber hinaus mit einem noblen Abendessen verwöhnt. Doch an Stelle eines edlen Weines bevorzugen wir „Banausen“ unsere altbewährte Mischung. Diesmal ein „Zötler“ Weißbier aus dem Allgäu.





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