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13. Pfälzer Hütte – Nenzinger Himmel


Als Stützpunkt zur Nächtigung nutzen wir die Pfälzer Hütte, die 1927 durch die Sektion Pfalz am Bettlerjoch und auf der Staatsgrenze Österreich-Liechtenstein erbaut wurde. Nach nur 11 Jahren wurden mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges alle Hoffnungen, die mit der Hütte verbunden waren, zunichte-gemacht. Die seit 1939 nicht mehr bewohnte, wiederholt aufgebrochene und ausgeplünderte Hütte verfiel zunehmend und war bald in einem trostlosen Zustand. Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein ersuchte den Liechtensteiner Alpenverein, die Hütte treuhänderisch zu übernehmen. Erst mit dem sogenannten Washingtoner Abkommen, in welchem Deutschland sowohl für sich als auch für die betroffenen Staatsbürger ausdrücklich darauf verzichtete, Ansprüche wegen Verwertung deutschen Eigentums geltend zu machen, wurde der Verkauf 1950 rechtskräftig. Nach Sanierung der Hütte erfolgte bereits im selben Jahr die Wiedereröffnung. Anhaltende Diskussionen über Grenzverlauf, Eigentumsrechte und wer zur Besteuerung der Hütte berechtigt sein soll, führten 1955 dazu, dass der Grenzverlauf zu Gunsten des Landes Liechtenstein verändert wurden.

Von der Morgensonne beleuchtet, bietet sich uns der Naafkopf (2.570 Meter) geradezu zwanghaft an, als Erster am heutigen Tag bestiegen zu werden. Ein Berg, von dem aus drei Täler und drei Flüsse ihren Ursprung haben und der darüber hinaus den Grenzpunkt dreier Staaten bildet. Auf seinem Gipfel treffen sich Österreich, Schweiz und Liechtenstein. Europaweit gibt es nur wenige Punkte, die diese Besonderheit aufweisen. Für den 17. August 1951 verabredeten sich hier Delegierte aus den drei Ländern mit dem Ziel, die genaue Lage des Grenzpunktes zu bestimmen. Ein Jahr später wurde feierlich das Gipfel-kreuz eingeweiht. Der Liechtensteiner Regierungschef gab in seiner Rede „der Hoffnung Ausdruck, dass im geistigen Kampf zwischen dem drohenden Osten und dem christlichen Abendland Demokratie und Christentum obsiegen werden“. Die Gipfelplattform ist demzufolge unter Wanderern ein begehrtes Ziel. Unterhalb der Spitze verläuft der Europäische Weitwanderweg Nr. 2 von den britischen Inseln bis zum Mittelmeer. Das Wort „Naaf“ bedeutet wahrscheinlich „Mulde“ und bezieht sich auf die auf liechtensteinischem Gebiet liegende Senke unterhalb des Gipfels.

Beim Abstieg ist uns wie immer daran gelegen möglichst grenznah zu bleiben. In abschüssigem Schrofengelände ist dies jedoch nur bedingt möglich. Im Barthümeljoch ergibt sich die Möglichkeit sowohl nach Stürvis als auch Seewis abzusteigen. Unser Ziel ist jedoch ein weiterer Grenzberg, der Tschingel (2.541 Meter), in der österreichischen Alpenvereinskarte als Augstenberg benannt. Von der Großen Furka aus ist diese dreikantige Pyramide ohne große Schwierigkeit zu besteigen. Ein herrlicher Rundblick auf die Naafkopf-Falknis-Gruppe sowie auf den Schesaplanastock belohnt die Gipfelbesteiger. Der protestantische Prättigauer Pfarrer Nicolin Sererhard - er bestieg um 1730 die Schesplana - berichtet unter anderem von einer Besteigung des Tschingel. Unterhalb des Tschingelgipfels findet er acht oder neun große Löcher (Mulden) vor. Er fragt einen Bauern, was es damit auf sich hat und dieser antwortet, das seien vor langer Zeit die Bäder der wilden Leute gewesen, worüber der Pfarrer lachen muss. Die wilden Leute sind in der heimischen Sagenwelt die Fenggen, das sind durchaus freundliche Geister, die den Menschen gut gesinnt sind und ihnen helfen.

Der Dritte Gipfel in dieser Grenzrunde am Talschluss des „Himmels“ ist die Hornspitze (2.537 Meter). Sie entspricht mit ihrer Form den klassischen Vorstellungen von einem Berg. Allerdings erschwert ein Felssturz auf der gängigen Route, entlang des Grates von der Großen Furka ausgehend, die Besteigung. Über die Südflanke gelangt man über steile Wiesen, Geröllhalden, ausgeprägte Rippen und zwischen zwei Felsblöcken zum Gipfel. Vorsicht ist trotzdem geboten, da das Gestein brüchig ist. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind erforderlich. Wer sich an ausgesetzten Stellen in größeren Höhen unsicher fühlt, sollte, wenn man sich dennoch die Besteigung zutraut, angeseilt werden. Auch wäre für diejenigen, welche Skistöcke mitführen, ratsam sich zu vergewissern, wo man sie vor der Gipfelbesteigung zurücklässt. Insbesondere bei neuen Stöcken dürfte sich mancher nachfolgende Bergfreund über ein derartiges Geschenk des Himmels freuen (Hannes lässt grüßen!).

Unter den vor Jahren in Liechtenstein angesiedelten Steinböcken scheint dieser Ort überaus beliebt zu sein. Mit Vorliebe sammeln sie sich an der Stelle, welche auch Zielpunkt eines Bergsteigers ist: unmit-telbar neben und unter dem Gipfelkreuz. Seit 1650 war der Steinbock, das Wappentier des Kantons, in Graubünden ausgestorben. Im Engadin wurde er dann 1920, am Falknis 1970, wieder ausgesetzt. Die fünf Geißen und der Bock fühlten sich sichtlich wohl. 1976 zählte die Falknis-Kolonie bereits 23 Tiere, wobei alle Nachkommen vom gleichen Bock stammen. Der Bestand entwickelte sich weiter, zählte 1988 bereits 82 Tiere und 1996 wurde ein Maximum von über 160 Tieren erreicht. Aktuell droht Gefahr von der sogenannten Gamsblindheit, die auch Steinböcke befallen kann und die am Falknis erstmals 2008 aufgetreten ist.

Der Abstieg vom Hochjoch auf dem Lippaälpelesteig, auf der Westseite der Hornspitze(r), über die Panüelalpe mit schönem Lärchenbestand, in den Nenzinger Himmel gestaltet sich langatmig. Die zwei Stunden, welche auf einem Wegweiser angegeben sind, scheinen knapp bemessen. Es empfiehlt sich eine zusätzliche einzuplanen, insbesondere dann, wenn man auf den letzten talauswärts fahrenden Bus angewiesen ist. Ansonsten dürfte ein Fußmarsch von viereinhalb Stunden nach Nenzing als eher weni-ger interessante Alternative zur Verfügung stehen. Da mag das Bier (Paulaner) beim Kiosk im Nenzinger Himmel auch noch so günstig sein, der Tag wäre in diesem Fall am Ende noch versaut!

„Da lacht uns die liebliche Alpenidylle, die wir uns denken können, vom Farbenjubel der Hochgebirgsblumen umringt, entgegen, eine Menge wettergebräunter Holzhäuser auf ebenen Wiesengrund und auf einem Hügel mittendrin das stimmungsreiche St. Rochus-Kirchlein. Das ist der Nenzinger Himmel.“ So schwärmte 1906 der Schriftsteller Jakob Christoph Heer. Die Rochus-Kapelle wurde 1852 erbaut und trat an die Stelle einer deutlich kleineren Kapelle aus dem 17. Jahrhundert. Diese wurde zur Zeit der letzten großen Pest in Vorarlberg, dem Pestheiligen St. Rochus geweiht. Außen an der Wand findet sich eine Gedenktafel, die an eine Tragödie aus dem Jahr 1913 erinnert: Zwei Jäger aus Graubünden wilderten im Salarueltal, als sie von zwei Nenzinger Jagdaufsehern gestellt wurden. Der eine Wilderer ergab sich, der andere konnte fliehen, kam dann jedoch zurück und schoss auf die beiden Aufseher, um seinem Freund zu helfen und ihn vor einer halbjährigen Haftstrafe zu bewahren. Jagdaufseher Josef Heingärtner wurde tödlich getroffen, Felix Schneeberger stürzte schwer verletzt, mit Durchschüssen an beiden Beinen, einen Hang hinunter.


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