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11. Schesaplana Umrundung


Auf der Straße von Brand nach Schattenlagant, die im Zuge des Kraftwerksbaues am Lünersee durch die Vorarlberger Illwerke in den Jahren 1954 bis 1958 erbaut wurde, erreichen wir die Talstation der Lünersee Bahn. Angesichts der schon wärmeren Tagestemperaturen nutzen wir die Aufstiegshilfe und folgen nicht dem „Bösen Tritt“, einem Steig zum Lünersee, welcher 1870 angelegt wurde.

Bei Erreichen der Bergstation an der Douglasshütte eröffnet sich ein grandioser Blick auf die Bergwelt der Schesaplana nahe der Grenze zwischen West- und Ostalpen. In den ersten Jahren der Douglasshütte war es durchaus üblich, dass der Hüttenwirt Gäste mit einem Kahn über den Lünersee transportierte. Jahre später wurde diese Fortbewegungsmöglichkeit jedoch eingestellt. Der Lünersee ist der größte natürliche Gebirgssee in den Ostalpen. Im Jahr 1925 wurde der See zu Abdichtungsarbeiten am natürlichen Seebord um 50 Meter abgesenkt. Am Grunde des Sees fand man Hirschgeweihe, die auf einen Klimawandel schließen lassen. Geldmangel verzögerten den Baubeginn für das Lünerseewerk. Erst mit einem Millionen-Dollar-Kredit der Weltbank konnte dieser 1954 gebaut werden.

Entlang des Lünersees gelangen wir gemütlichen Schrittes zur gleichnamigen Alpe, bevor kurz danach der Fußweg in südliche Richtung auf das Gafalljoch, der Schweizer Grenze entgegen, ansteigt (Grenzstein Nr. 3). Der Bludenzer Vogteiverwalter David von Pappus berichtete bereits 1608, dass der Pass „aintausent schritt brait“ sei, sodass er für die Prättigauer, wie ihr Vieh, aber auch für die beladenen Rosse begehbar sei. Darüber hinaus wurde dieser Übergang noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts regelmäßig und gerne für Warenschmuggel genützt. Der Schmuggel verschiedenster Waren bildete für Grenzbewohner immer schon ein willkommenes Nebeneinkommen. Im Rucksack wurden hauptsächlich Kaffee, Zucker, Salz und Tabakwaren, teilweise auch in größerem Umfang, über die Schweizer Grenze getragen. Meist wählte man schwierige, abseits gelegene Routen, um nicht den Zöllnern (Zollwache) in die Arme zu laufen. Ein umfangreicher Schmuggel flog um die Jahrhundertwende auf, als Waren von Brand über Bludenz bis nach Budweis verschoben worden waren.

Hart an der Grenze, die Kirchlispitzen im Rücken, beabsichtigen wir in unwegsamen Gelände über das Lüneregg zu den Kanzelköpfen und Grenzstein Nr. 1 zu gelangen. Angesichts des äußerst brüchigen Felsen klettern wir sehr vorsichtig, bis uns der erste Turm ein Weiterkommen versperrt. Da wir kein Seil mitführen, wollen wir das Wagnis ungesichert weiterzukommen nicht eingehen. So steigen wir über Fels und steile Wiesen auf Schweizer Gebiet ab und erreichen dem Normalweg folgend entlang der Grenze den Übergang bei den Gamsluggen auf 2.383 Meter. Über einen versicherten Steig würde man in weiterer Folge zur Totalphütte und auf dem Normalweg zum Gipfel der Schesaplana gelangen. Wir steigen jedoch dem Grenzverlauf entlang über die gut begehbaren Totalpköpfe. Über den Zentralalpen-weg wechseln wir auf der Südseite der „Schesa“ (Südwandsteig) kurz auf Schweizer Gebiet, um dann von der Westseite der Grenze entlang unser Tagesziel zu erreichen.

Man hat hier das Schmuckstück des Rätikons vor sich, die 2.965 Meter hohe Schesaplana. Die Felsen-pyramide mit den charakteristischen Faltungen reckt sich schwarz aus dem noch vorhandenen Glet-scherfeld. Es sind Korallenkalke, die als senkrecht gestellte Bänke den Gipfelaufbau bilden. Dieser türmt sich wie ein schwarzer Riese aus dem Brandner Gletscher in den blauen Himmel. Das neunein-halb Meter hohe Gipfelkreuz, welches 1959 durch die Katholische Jugend von Hörbranz errichtet wurde, leuchtet uns entgegen. Mit Hilfe von Kreuzen erbat man Schutz vor Sturm- und Gewitterdä-monen für Höfe, Vieh und Felder. Da mitunter angenommen wurde, dass die Unwetter von den Gipfeln kämen, wurden Kreuze auch auf Gipfeln aufgestellt. Die ausgezeichnete Fernsicht an diesem Tag erlaubt uns einen grandiosen Rundumblick. Im Norden über die Regionen Walgau, Rheintal und weiter bis zum Bodensee sowie im Westen über die Schweizer Berge. Von der Zimba im Osten wandert unser Blick über die Kirchlispitzen, Drusenfluh, Drei Türme und Sulzfluh bis in die südlichen Regionen der Silvretta (Grenzsteine Nr. 6 und 7).

In alten Alpenvereinskarten ist der Gipfel um drei Meter höher angegeben. Die werden sich damals doch nicht vermessen haben? Durch einen Hinweis von Thomas Gamon, Archivar in Nenzing, konnte der Gipfelschwund geklärt werde. Sprengstoff scheint ein oft verwendetes Hilfsmittel bei der Erschliessung alpiner Klettersteige gewesen zu sein. So waren beim Wegebau von der Garsellialpe auf die Drei Schwestern 1886 die Kosten „wegen der vielen Felssprengungen“ wesentlich höher als vorgesehen. Im Jahresbericht der Sektion Vorarlberg aus dem gleichen Jahr wird lakonisch vermerkt: „Auf der Spitze der Schesaplana waren einige Felssprengungen nötig, um den oft zahlreichen Besuchern mehr Platz zum Sitzen zu verschaffen.“

Die Schesaplana bildet die höchste Erhebung im Rätikon und wird oftmals als „Königin Schesaplana“ tituliert. Im Jahr 1610 wurde der Berg erstmals von David Pappus, Vogteiverwalter in Bludenz, zusammen mit den beiden Montafoner Jäger, Christian Barball und Claus Manall bestiegen. Er folgte damit dem Auftrag, die Grenzen der Grafschaft Sonnenberg zu begehen und den Grenzverlauf schriftlich zu dokumentieren. 400 Jahre später dürfen wir nun seinen Spuren folgen! Zwischen 1720 und 1730 bestieg Pfarrer Sererhard aus Seewis den Gipfel der Schesaplana. Dieser beschrieb den Rundblick mit begeisterten Worten unter dem Titel „Meine Schaschaplana-Bergreis“ (1742). Im Wort „Schaschaplana“ dürften die Wörter „Saxa und Plana“ enthalten sein. Ein Hinweis auf die „ebenen Schrofen oder Felsen“ bei Betrachtung des Berges von Süden.

Bei einer Felserhebung südlich der Schesaplana dokumentieren wir den Grenzstein Nr. 9, bevor es auf schnellsten Weg, teils über Geröll- und Schneefelder der Totalphütte entgegengeht. Bei einer wohlver-dienten Stärkung (Fohrenburger Weizen!) scheint uns der Durst schlimmer als das Heimweh nach einer uns besser vertrauten Biersorte.

„Eigentlich hat nur die Schesaplana Heimrecht hier“. André Weckmann



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