6. Vom Hirschgrund aufs Gottesacker Plateau
- Sigi Schwärzler
- 8. Juni 2017
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Okt. 2020

Eine unruhige Nacht auf dem Dielenboden geht zu Ende. Steif und noch etwas müde vom gestrigen Marsch schlüpfen wir aus dem Schlafsack. Da keine Möglichkeit besteht ein Feuer zu entzünden, gibt es auch keinen heißen Kaffee. Ein Schluck Wasser aus dem Brunnen vor dem Stall muss fürs Erste genügen. Ein Selfie vor dem Abmarsch soll unsere Motivation und Begeisterung bekunden. Über-zählige Ausrüstungsgegenstände wie Schlafsack und Unterlagsmatten sowie überzählige Reserve-bekleidung lassen wir im Stall deponiert zurück, um es beim Rückmarsch am Nachmittag wiederauf-zunehmen. Beim Schönbach überqueren wir den Grenzverlauf und folgen diesem bis zum Polusbach. Der hier gesetzte Grenzstein 198 lässt sich nicht sofort finden. Erst eine halbe Stunde später setzen wir unseren Marsch fort und steigen aufwärts zum Poluswasserfall. Die Keßlerwand umgehen wir und bei der Unteren Hirschguntalpe, direkt an der Grenzlinie, gibt’s die erste Verschnaufpause. Die beiden Gottesackerwände bilden ein großartiges Naturphänomen. Die obere Wandflucht stürzt meist senkrecht ab, ist bis zu 70 Meter hoch und erstreckt sich mit nur einer Unterbrechung, der sogenannten „Scharte“, über vier Kilometer Länge. Steigt man, wie wir, über die Lohmoosalpe auf, so sind diese Felsen stets unmittelbare Begleiter.
Nach 1.000 Höhenmetern Aufstieg stehen wir auf dem 1.958 Meter hohen Roßkopf, vor uns die Hoch-ebene des Gottesackers mit dem Hohen Ifen. Andächtig liegen wir neben dem Gipfelkreuz im Gras und genießen die vollkommene Stille. Das Gottesackerplateau ist in seiner Ausdehnung eines der wohl imposantesten Naturwunder Vorarlbergs. Die weiße Karstlandschaft mit endlos vielen Rillen und Rippen, den sogenannten Karren, kann eine mystische Ausstrahlung nicht verbergen. Diese einzigartige, unter Naturschutz stehende Karstlandschaft liegt an der nordwestlichen Grenze des Kleinwalsertals. In Millionen von Jahren hat das Wasser hier vielfältigste Rillen und Klüfte in den Schrattenkalk modelliert. Darüber hinaus schuf auf dem Plateau tief in den Kalkstein eindringendes Wasser zahlreiche Karsthöhlen wie die Schneckenlochhöhle oder die 77 Meter tiefe Schachthöhle Hölloch. So entstand diese einzigartige Felsenformation, die nun Heimat vieler Pflanzenarten ist. Alpenrose, Silberwurz, schwarze und rote, nach Vanille duftende Kohlröschen, Wacholder, Einbeeren, Astern, Frühlingsenzian, Wollgras und Schnittlauch – sie alle gedeihen hier prächtig, nahe dem Ifen. Wie es zur Namensgebung für das Plateau kam ist nicht übermittelt. Einer Sage nach fragte ein Bettler auf einer Alpe nach etwas Schmalz. Im Gefäß unter der dünnen Schmalzschicht war jedoch Mist. Für diese Verhöhnung strafte Gott den Senn und seine Familie dergestalt, dass aus der Alpweide diese Felslandschaft wurde.
Der Rückweg führt uns über Felsformationen hinunter ins Lowental und in weiterer Folge zur Hoch-rubachalpe. Auf einem Pfad erreichen wir talwärts auf kürzestem Weg Kesselgunten. Der Rückmarsch auf der Forststraße ist lang und zäh, bis wir unseren Stall in Hirschgrund erreichen. Doch noch ist diese Tour dieses Tages nicht zu Ende. Ein eineinhalbstündiger Fußmarsch auf heißem Asphalt nach Sibratsgfäll steht bevor. Wahrlich kein „Honiglecken“.
Beim Rindberg befindet sich eines der größten Rutschgebiete Vorarlbergs. Die letzte große Rutschung ereignete sich im Jahr 1999 und riss einige Häuser, Kapellen und Alpgebäude mit. Der gesamte Hang oberhalb der Lustenauer Riesalpe war von der Rutschung betroffen. Bis heute ist das Ausmaß der Rut-schung gut zu erkennen. Besonders auffallend ist dabei die nun schräg stehende Wendelinkapelle. Dass es sich von alters her um ein geologisch unruhiges Gebiet handelt, könnte auch Hintergrund folgender Sage sein: In den Felsen und Klüften des Feuerstätter Höhenzuges hausten viele Hexen und Männlein. Damit es im Berg drinnen hell und warm blieb, sorgten sie für eine immerwährende Feuerstätte. Daher habe auch der Berg seinen Namen. Manchmal haben die Hexen und Männlein mit den Bewohnern auch allerlei Unfug getrieben und mit Rutschungen deren Land verunstaltet. Diesem Treiben konnten die Bewohner nur durch Aufstellen von Kreuzen und Kapellen Einhalt gebieten. Tatsächlich ist der Hang bei der letzten Rutschung genau unter der Kapelle abgebrochen.
Dann zu unserer Überraschung ist auf der Dorfstraße in Silbratsgfäll eine Straßensperre wegen Asphaltierung. Kein Landbus weit und breit! Nochmals zwanzig Minuten weiter bis zur Anhöhe, wo die Straße nach Hittisau hinunterführt. Knapp vor Erreichen der vermeintlichen Haltestelle müssen wir mit Entsetzen feststellen, dass der Landbus auf der alten staubigen Dorfstraße, ohne auf uns Rücksicht zu nehmen, das Weite sucht. Jetzt ist die „Axt am Baum“! Das erstbeste Auto, als Fahrer ein junger Automechaniker auf Probefahrt, wird angehalten und nun auf schnellstem Weg das Gasthaus Adler in Hittisau angesteuert. Die „Meckatzer´s“ lassen grüßen.
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